Predigt am 12. März 2016 (Ordinationsgottesdienst)
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
Das dritte Drehbuch schreibe ich nun schon.
Dass eine Serie daraus wird, hätte ich nicht gedacht!
Reichen meine Ideen überhaupt aus?
Lässt sich nochmal etwas Neues daraus machen?
Tja, nun gibt es kein Zurück mehr.
Ob Deutschland gerade den Impfpass sucht oder neue Landesregierungen wählt: Sonntagsabends bleiben wir den Tätern auf der Spur.
Der Tatort muss sein.
Und die Blankenlocher Folge ist versprochen.
Micha, der Kommissar – sein dritter Fall.
Micha, der Friedenssucher, der Zeitreisen unternimmt.
Der Gerechtigkeitsfanatiker, der Bibeltexte auf sein Smartphone geschickt bekommt.
Micha, der Prophet.
Diesen dritten Fall habe ich eigentlich ganz gut hinbekommen: eine richtige Verfolgungsjagd, viele durchwachte Nächte, ein frustrierter Kommissar, der trotzdem nicht locker lässt. Streit mit der Gerichtsmedizinerin. Zweimal Currywurstbude mit Bier.
Schließlich hatte doch der nette Nachbar die Leiche im Keller, und die randalierende Studentin wurde aus der Untersuchungshaft entlassen.
Aber das Ende … das Ende fällt mir schwer.
Micha, der Gerechtigkeitsfanatiker, hat Gnade vor Recht ergehen lassen.
Er war sich sicher, dass die Studentin ihre Lektion gelernt hat.
Er wollte ihr die Zukunft nicht verbauen. Irgendjemand hat gepetzt.
Nun wird Micha versetzt in andere Dienststelle.
In der ARD kann er erstmal Pause machen. Vielleicht gibt es später weitere Folgen …
Also, das Ende der dritten Folge ... mal sehen … vielleicht so:
MUSIK
Micha, der Kommissar, steht in der Küche seiner Dachgeschosswohnung und schaut sich um.
Ob das Baguette reichen wird? Ob der Rotwein reichen wird?
Wenn alle kommen, wird es vielleicht knapp. Oder??
Schade, dieser plötzliche Abschied, nachdem ich gerade dabei war, mich hier einzuleben …
Eigentlich ist ja noch ein bisschen Zeit, bevor die ersten Gäste eintreffen.
Vielleicht gönne ich mir noch einen kleinen Ausflug in das 8. Jahrhundert vor Christus.
Micha, der Kommissar, legt sich auf’s Sofa.
MUSIK
Micha, der Prophet, wacht auf – und sofort fällt ihm alles wieder ein.
In diesen verlassenen Weinberg war er geflohen, weil er nicht mehr weiter wusste.
Micha springt auf und klopft sich wütend den Staub aus seinem Gewand.
Dieser Prozess geht ihm nicht aus dem Kopf.
Die Anklageschrift war lang.
Gott hat endlich mal Tacheles geredet.
Er hat Gerechtigkeit gefordert und vor allem die raffgierige Ausbeutung der armen Bauern angeprangert.
Er hat kein Blatt vor den Mund genommen:
Die Gerechten sind nicht mehr unter den Leuten.
Einer jagt den anderen.
Eure Hände sind geschäftig, Böses zu tun.
Des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen.
Ja, so war es doch!
Und dann??
Dann blieb die Strafe aus!
Gott hatte Gnade vor Recht ergehen lassen! Wie konnte er das tun??
Das reicht doch nicht! So kann es doch nicht weitergehen!
Micha hebt die Hände und ruft laut:
Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld
(leiser) denen, die übriggeblieben sind von seinem Erbteil?
(leiser) Der an seinem Zorn nicht ewig festhält?
(noch leiser) Denn er ist barmherzig.
Micha muss sich setzen.
Sein Ärger ist verflogen.
Er legt sich auf den trockenen, rissigen Boden und streckt sich aus.
Der Wind streicht sanft über sein Gesicht.
Micha, hört er, du hast ja Recht. Es reicht nicht. Aber lass dir an meiner Gnade genügen.
MUSIK
Micha, der Kommissar, steht auf und geht ans Fenster.
Wie oft habe ich in den letzten zwei Jahren da unten gestanden. Eine Currywurst und ein Bier – zum Runterkommen.
Besonders während der beiden aufregendsten Fälle:
das verschwundene Kind und die Brandstiftung in der Flüchtlingsunterkunft. Nach langen und aufreibenden Ermittlungen sind immer noch Fragen offen. Wer ist nun der Vater des Kindes, das wir unversehrt in dem alten Stall gefunden haben?
Wer sind die eigentlichen Drahtzieher des Brandanschlags? Die rhetorischen Brandstifter?
Was wir gemacht haben, hat nicht gereicht.
Es hat nicht gereicht, um den Schaden wieder gut zu machen.
Es hat auch nicht gereicht, um neues Unrecht zu verhindern.
Es hat noch nicht mal gereicht, um alles zu verstehen.
Michas Handy brummt.
Ach ja. Der anonyme Absender.
Mein Mutmacher.
Wenn wir nur noch Spuren des Unheils gesichert haben, hat er meinen Blick auf die Spuren des Heils gelenkt.
Wenn ich in der Wirklichkeit versumpft bin, hat er von der Möglichkeit gesprochen.
Von Gottes Möglichkeit: Pflugscharen und Frieden.
Von Gottes Versprechen: Es wird sein.
Was schreibt er heute?
Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.
Was ist das für ein Gott, der so etwas tut? Der es sogar immer wieder tun will.
Der Gnade vor Recht ergehen lässt.
So wie ich.
Warum war ich mir so sicher?
Warum habe ich der Studentin einfach geglaubt?
Es fühlt sich immer noch richtig an.
Die Versetzung? Naja – egal!
Der anonyme Absender hat mich angesteckt.
Er hat immer wieder Nachrichten geschickt.
Er hat mich besänftigt und beflügelt.
Mit diesen Worten, die Brände löschen.
Mit diesen Worten, die die Sehnsucht wecken.
Mit diesen Worten von heilvoller Zukunft.
Aber reichen diese Worte aus?
Zum Leben und zum Sterben?
Zum Leben: Wann mische ich mich ein?
Wann ziehe ich mich zurück?
Wann rege ich mich auf?
Wann lasse ich Gnade vor Recht ergehen?
Zum Sterben: Tritt Gott unser Ungenügendes und unsere Ungerechtigkeiten unter seine Füße?
Wirft er meine Gottesferne ins Meer?
Dann liebt er wirklich bis ans Ende der Ferne …
Reicht mein Vertrauen in seine Liebe auch bis ans Ende der Ferne? Bis in den Tod?
Das Handy. Es reicht nicht. Aber lass dir an meiner Gnade genügen.
Micha blickt auf die Curry-Wurst-Bude.
Es klingelt. Micha öffnet die Tür und
fröhliche Stimmen füllen die Wohnung.
MUSIK
Fröhliche Stimmen habe ich immer gehört, wenn wir – im Stadtkirchen-Chor – dieses Lied gesungen haben.
Wäre Gesanges voll unser Mund,
voll wie das Meer und sein Rauschen.
Klänge der Jubel von Herzensgrund,
schön, dass die Engel selbst lauschen.
Es reichte doch nicht, es reichte doch nicht, dich unser’n Gott recht zu loben.
Schunkelnd und fast überschwänglich heißt es nach jeder Strophe: Es reichte doch nicht.
Ein Lied, das Ohrwurmqualitäten hat und sich zum Singen unter der Dusche eignet.
Es reichte doch nicht …
Der Text, der auf ein altes jüdisches Gebet zurückgeht, zählt auf, was Menschen alles versuchen, um Gottes Nähe zu erfahren. Um die Fülle des Lebens zu haben. Um Gott zu loben. Sie singen, tanzen, und fliegen.
Um dann locker und leicht hinzuzufügen: Es reichte doch nicht.
Wie oft habe ich mich in den letzten Jahren und Monaten gefragt, ob es wohl reicht.
Reicht mein theologisches Denkvermögen?
Mein Wissen, meine Sprachfähigkeit?
Wird meine Kreativität ausreichen?
Für viele weitere Drehbücher, für immer neue Ideen?
Reichen mein Gottvertrauen, meine Kraft und meine Liebe?
Ich halte mich an dieses Lied und seine Schwerelosigkeit. Es reichte doch nicht. Nein, es reicht nicht, um Gott zu loben. Aber wir versuchen es trotzdem.
Immer wieder.
Und ich halte mich an diese Zusage:
Es reicht nicht.
Aber lass‘ dir an meiner Gnade genügen.
Amen.